Pferde leben immer länger

Von: Thomas Frei


Pferde werden bedeutend älter als früher. Zahlen aus der nationalen Equidendatenbank belegen die steigende Lebenserwartung, zeigen aber auch auf, dass die Zahl der Abgänge in den ersten Lebensjahren hoch ist.



Liegt das Durchschnittsalter eines mitteleuropäischen Pferdes bei knapp sieben Jahren oder nicht? Eine Zahl, die aufschrecken kann, wenn man bedenkt, dass das älteste bekannte Pferd der Welt erst kürzlich in England mit 52 Jahren eingeschläfert werden musste. Natürlich gibt es auch bei Menschen robuste Naturen, die 100 Jahre und älter werden. Abgesehen von diesen Ausnahmen steigt unsere Lebenserwartung kontinuierlich an. Doch nicht nur unsere – auch Pferde, Ponys und Esel dürfen auf ein längeres Leben hoffen. Und vielfach in einer guten Verfassung.


Andere Einstellung

Das steigende Alter der Pferde ist in erster Linie nicht auf eine bessere Gesundheit dank optimaler Ernährung oder schonenderen Gebrauch zurückzuführen. Hauptursache ist unser verändertes Verhalten gegenüber dem einstigen «Nutztier» Pferd. Nicht mehr der wirtschaftliche Nutzen steht im Vordergrund, unsere emotionalen Bindungen sind es, die Pferde älter und älter werden lassen. Und was mit Hummer, der als Zwölfjähriger Dressurgold an den Olympischen Spielen 1948 in London gewann, bei der Schliessung der Pferderegieanstalt Thun vor gut 60 Jahren passiert ist, wäre heute undenkbar – Hummer wurde geschlachtet. Freilich hat dieser Entscheid auch damals schon heftige Kritik hervorgerufen. Kein Blatt vor den Mund nahm Hans Schwarz, wenn er bei den Fohlenschlachtungen und im Zusammenhang mit der Liquidation der Pferderegieanstalt in Thun von «Pferdemord» sprach. Seine Vision eines Altersheims für Pferde setzte er dann in Le Roselet um. «Unser Traum ist», schrieb er, «dass im Jura, in den herrlichen Freibergen, unter den dunklen Tannen unser Refugium für alte Pferde entstehen soll.» 1959 kam es zur Gründung der Stiftung für das Pferd. Oder wer könnte sich heute noch vorstellen, dass ein 20-jähriges CH-Pferd ins Ausland exportiert würde, um gratis zu Kompensationskontingenten zu kommen? Mit dem Segen des Bundesamtes für Landwirtschaft liess sich damit vor gut 20 Jahren noch so leicht Geld verdienen wie mit dem Export von Schlachtfohlen.


Kein Blatt vor den Mund nahm Hans Schwarz, als er bei den Fohlenschlachtungen und bei der Liquidation der Pferderegieanstalt in Thun von «Pferdemord» sprach.


Müeslifutter und Sprudelbäder im Aqua-Trainer allein lassen Pferde nicht älter werden, zeigen aber das neue Verständnis gegenüber dem zum Partner gewordenen Nutztier auf. Und dieses sich wandelnde Ethikverständnis ist denn auch der Grund für die steigende Lebenserwartung der Pferde. Die Bestätigung dafür liefern die ersten Daten aus den Jahren 2012 und 2013 aus der Tierverkehrsdatenbank für Equiden: Zu Schlachtungen kommt es bei den als Nutztieren registrierten über 30-jährigen Pferden praktisch nicht mehr. Zu Euthanasierungen dagegen sehr wohl. Wird nun Pferden vermehrt das Leben in der vertrauten Umgebung oder auf der Altersweide verlängert, steigt zwingend auch das Durchschnittsalter. Jörg Guggisberg von der Equidendatenbank ermittelte bei den Abgängen ein Durchschnittsalter von 12,5 Jahren. Alles miteingerechnet – vom noch nicht einjährigen Schlachtfohlen bis zum 35-jährigen Gnadenbrotpferd.


Obwohl die amtlich vorgeschriebene Registrierung der Pferde für viele Besitzer ein Gräuel ist, die nun vorhandenen Zahlen liefern wertvolle Fakten. Deutlich zeigt sich bei der Altersstruktur, dass die Zahl der Abgänge im Alter von bis fünf Jahren recht hoch ist – fast 20 Prozent.

 

Augenfällige Unterschiede

Was von Amtes wegen in Nutz- respektive Heimtiere kategorisiert werden muss, zeigt sich in der Auswertung der Abgänge. Bei einer Schlachtung wird das Fleisch auch verzehrt, das heisst mit andern Worten, dass in dieser Kategorie vornehmlich Freiberger aufgeführt werden: 2013 wurden 987 Fohlen geschlachtet, was gut 47 Prozent der Geburten ausmacht. Die Zahl der verendeten respektive euthanasierten Fohlen lag mit 193 weit darunter. Doch auch wenn die jungen Tiere aus dem Fohlenalter heraus sind, muss mit einer relativ hohen Zahl an Abgängen gerechnet werden. Nicht nur Kinderkrankheiten spielen hier mit, gross sind beim Eintritt ins Arbeitsleben auch die Verletzungsgefahren. Ist das alles einmal überstanden, sinkt die Todesrate ab und bleibt zwischen dem sechsten und zwölften Altersjahr mehr oder weniger konstant, um dann wieder anzusteigen. Mit recht vielen Abgängen ist dann zwischen dem 18. und 23. Altersjahr zu rechnen, rund 25 Prozent in diesem Alterssegment.


Der Stiftung Stinah will in der Allgemeinheit das Bewusstsein stärken, dass Nutztiere keine Verbrauchsgegenstände sind.

 

Stiftung führt Gnadenhof

Was Hans Schwarz im Jura bereits vor gut 50 Jahren realisiert hatte, betreibt die Zürcher Rechtsanwältin Claudia Steiger zusammen mit ihrem Lebens-partner Christof Zimmerli seit ein paar Jahren über ihre Stiftung Stinah. Ihr Pferdehof in Trasadingen ist nicht ausschliesslich als Altersweide für Pferderentner gedacht, sondern auch als Gnadenhof für misshandelte oder vernachlässigte Tiere. Denn für Claudia Steiger ist eine Altersweide nicht a priori die optimale Lösung -für in die Jahre gekommene Pferde. Mit ihrer Stiftung geht es den beiden Idealisten in erster Linie darum, in der Allgemeinheit das Bewusstsein zu stärken, dass Nutztiere keine Verbrauchs-gegenstände sind. Weil der Pferdebetrieb in Trasadingen mittlerweile auch im Ausland bekannt ist, präsentiert sich der Bestand von über 50 Pferden recht international. Regelmässig gelangen ausländische Tierschutzorganisationen mit der Bitte an die Stiftung, Pferde aufzunehmen. Einmal kommen die Anfragen aus Spanien oder Portugal, ein andermal aus Irland oder Osteuropa. Wie nötig solche Aufnahmen sind, zeigen die Narben einer misshandelten Stute aus Ex-Jugoslawien.


In ihrem Referat über Altersweiden für Pferde im Rahmen des vom Verein Forschung für das Pferd organisierten Seminars «Das alte Pferd» im vergangenen September relativierte Claudia Steiger die Ansicht, auf Altersweiden liessen sich Pferde günstiger unterbringen: «Vergleicht man den im regulären Preis enthaltenen Aufwand des Pensionsgebers im Pensionsstall mit dem Aufwand, den man dem Altersweidebetreiber überbindet, und berücksichtigt man, dass die Hauptkosten des Pensionspreises immer die Arbeitsleistung beschlagen, wird schnell deutlich, dass sich ein tieferer Pen-sionspreis auf einer Altersweide nicht rechtfertigt.»

Wie hoch die Arbeitsleistungen auf einem gut geführten Betrieb sind, weiss sie aus eigener Erfahrung. «Man sieht uns immer an der Arbeit», schildert sie lachend ihren Einsatz. Ziel ist allerdings, dass sie einmal zwei Mitarbeiter haben werden und Freiwillige am Wochenende. Denn allein die Bereitstellung des Futters – es gibt unter anderem täglich 75 Heunetze zu füllen – nimmt die Kapazität einer Arbeitskraft in Anspruch.


Was 1995 mit drei Pferden auf ganz privater Basis begann, hat sich in den bald 20 Jahren zu einem beachtlichen Betrieb entwickelt. Die Idee für eine solche Institution ist aus einem Jugenderlebnis heraus entstanden, Tierschutz ganz allgemein nahm bei Claudia Steiger schon in der Kindheit -einen hohen Stellenwert ein. Den abgelegenen Hof in Trasadingen konnten Claudia Steiger und Christof Zimmerli 2008 erwerben und sind seither fortwährend am Renovieren und Umbauen. Alles nebenberuflich, denn sie ist als Rechtsanwältin in Zürich tätig, er ist auf dem kantonalen Steueramt tätig und nur dank diesen beiden sicheren Einkommen liess sich das erschaffen, was heute als kleines Pferdeparadies zwischen Wäldern, Wiesen und Rebbergen liegt. Rund elf Hektaren Weideflächen stehen den über 50 Pferden zur Verfügung.


Was im kleinen Rahmen auf privater Basis begann, hat längstens die privaten Möglichkeiten überschritten und ist in die Stiftung Stinah überführt worden. Doch auch die will alimentiert sein – Fundraising gehört deshalb zu den Aufgaben von Claudia Steiger und Christof Zimmerli ebenso wie die Hofarbeit.